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1.Internationales Jugend-Umwelt-Treffen |
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Berlin-Köpenick |
UND TSCHÜß ERDE!
Über die neue Dimension der existentiellen Zukunftsangst der Kinder und Jugendlichen angesichts der ökologischen Zerstörung unserer Welt
Bleiben wir Menschen bei unserer modernen, zivilisierten Sichtweise; halten uns also für das betrachtende, erkennende, kultivierte und beherrschende Subjekt gegenüber dem „Objekt" Natur, erfolgt also sowohl individuell als auch gesellschaftlich - abgesehen von der fortschreitenden Technologisierung - keine Veränderung unseres derzeitigen Lebensalltages, ist der Untergang der Menschheit vorprogrammiert, der Begriff Zukunft damit erstmals endlich.
Ich höre förmlich den Aufschrei: Was soll das denn? So eine künstliche Panikmache! Typisch, kurz vor der Jahrtausendwende wieder mal eine Weltuntergangsvision!
Als ob es nicht schon immer Katastrophen gegeben hat! Schwarzmalerei, sollen wir uns alle den Strick nehmen - oder was?
Nein, das natürlich nicht. Es reicht zunächst, wenn wir beginnen wahrzunehmen, statt zu verdrängen, zu ignorieren und zu tabuisieren.
Das beginnt mit der Wahrnehmung unserer eigenen (Zukunfts-)Ängste, dem Zulassen derselben, dem Benennen. Je älter wir werden, um so mehr Abwehr- und Anpassungsmechanismen entwickeln wir. So rücken wir Erwachsenen schließlich mit unserem Realismus immer weiter ab von der Realität. Die Angstvorstellungen der Kinder, bestehend aus einem Gemisch deckungsgleich abgebildeter (und nicht relativierter) Informationen, die in Gesprächen oder im Fernsehen aufgeschnappt wurden sowie der eigenen Phantasie, reichen oftmals leider viel näher an die Realität heran. Sie sind nicht unbegründet, denn mit der ökologischen Zerstörung geht eine
neue Dimension der Krise einher. Andere Menschheitskrisen (wie beispielsweise vergangene Kriege, wirtschaftliche Rezensionen, Naturkatastrophen...) die ebenfalls von Zukunftsangst geprägt waren, brachten als Pendent auch immer die Zukunfts-
hoffnung hervor. Es war insgesamt eine zeitlich abgrenzbare Situation, es gab immer ein danach, auf das es zu hoffen lohnte. Die Hoffnung setzte sich als eine ursprüngliche menschliche Triebkraft immer wieder gegen die Angst durch. Mit der in diesem Jahrhundert möglich gewordenen Vernichtung des Menschen durch sich selbst und der fortschreitenden Ausbeutung und Zerstörung der (Mit-)Welt wird der generationsübergreifende Konsens über die Kontinuität menschlicher Geschichte aufgehoben. Die verlängerte Gegenwart führt nicht in die Zukunft sondern in den Tod, zum Ende (der Menschheit). Es gibt kein danach und somit auch nichts, worauf Mensch hoffen kann.
Die Zukunftsangst der Kinder und Jugendlichen ist damit heute unvergleichbar und rührt an die Fundamente menschlicher Existenz, da Zukunftshoffnung untergraben und ausgeschlossen wird. Damit gerät die übliche Floskel „den Kindern gehöre die Zukunft" zur bitteren Groteske. Entsprechend trübe sind die eigenen Einschätzungen der Kinder und Jugendlichen. Nachdem ich in zahlreichen Publikationen (Shell Jugendstudie, „Das blöde Ozonloch „ v. Christiane Gräfe und Ilona Jerger-Bachmann,
„Umweltangst - Umwelterziehung" v. Ulrike Unterbruner u.a.) davon Kenntnis nahm, machte ich es mir zum Prinzip meiner eigenen pädagogischen Arbeit, genau bei diesen Ängsten anzusetzen. Oft fehlt den Kindern und Jugendlichen nämlich überhaupt die Möglichkeit, diese Ängste zu benennen und mit ihnen auch ernst genommen zu werden. Von den Erwachsenen wird entweder beschwichtigt, verdrängt oder ausgewichen. Schließlich setzt eine Auseinandersetzung damit ja voraus, sich seinen eigenen Ängsten und ebenso den unbequemen (Schuld-)Fragen zu stellen.
So begann ich auch beim finnisch-deutschen Workshop im Rahmen des hier dokumentierten 1. Internationalen Jugend-Umwelt-Treffens in Köpenick mit einer Phantasiereise in die Zukunft, über die wir uns anschließend bildlich und sprachlich austauschten. Zum wiederholten Male wurden mir dabei in meiner eigenen praktischen Arbeit die oben beschriebenen Tendenzen der von Angst geprägten „dunklen" Zukunftsvisionen der Kinder und Jugendlichen bestätigt.
Im folgenden möchte ich den methodischen Verlauf und einige Ergebnisse kurz skizzieren.
Nach kurzer Vorstellung, Begrüßung und Einstiegsspiel, erhielten die Jugendlichen die Aufgabe, sich bequem auf den Boden auf eine Decke zu legen, die Augen zu schließen und zuzuhören. Dann kam folgende „Reisebeschreibung" (im Workshop in englischer Sprache):
„Wir gehen jetzt auf die Reise, nur in unseren Gedanken:
Stellt euch vor, ihr steht auf, geht aus diesem Raum heraus, heraus aus dem Haus, auf die Straße, kommt an einem schönen Platz vorbei, geht weiter einen langen geraden Weg - plötzlich steht ihr vor einem großen Tor. Ihr wisst, wenn ihr dieses öffnet, dann kommt ihr in die Zukunft, in die Welt in 20 Jahren.
Mache dir für einen Moment bewusst, was du gerade fühlst.
Fass an die Klinke und gehe hinein. Schau dich um, gehe weiter, schau dich um. Was siehst du? Jetzt siehst du eine Person, die du kennst. Du triffst diese Person oder nicht - so wie es in deiner Phantasie möglich ist. Es ist Zeit, zurück zu gehen. Gehe langsam zurück, schau dich um, höre, rieche. Komm zurück zum großen Tor. Hier geht es wieder hinaus aus der Welt der Zukunft. Mache dir dein Gefühl in diesem Moment bewusst. Öffne das Tor, gehe hinaus und komm den langen geraden Weg zurück, in den Garten vorm Klub, in das Gebäude, in den Raum. Wenn du wieder hier bist, öffne die Augen und setze dich langsam auf."
Natürlich war diese Beschreibung unterbrochen von mehreren kurzen und langen Pausen, die ich hier nicht extra kenntlich gemacht habe.
Nachdem alle gesessen haben, tauschten wir uns im Kreis kurz über den ersten Eindruck aus, den diese Reise hinterlassen hat. Vom unverbindlichen „interessant"
über „angsteinflößend" und „beängstigend" („ich sah mein eigenes Grab") bis „schön,
ich sah eine positive Zukunft" reichte die Palette der Antworten. Einigen war es gar zu unheimlich, sich auf ihr Unterbewußtsein einzulassen, sie „wollten nicht hinein, ihre Zukunft nicht sehen".
Nun hatten die Jugendlichen die Aufgabe, mit Folienstiften auf Glasdias ein Bild ihrer gesehenen Zukunft zu malen und diesem einen Titel zu geben. Dabei konnten sie ein oder mehrere Dias nutzen und auch frei wählen, was sie darstellen. (Methodisch ist dieses ungewohnte kleine Format der Dias sehr effektvoll, da es nicht so erschlägt wie ein großes weißes Blatt und somit auch weniger die Fertigkeit des Malenkönnens in den Mittelpunkt rückt. Auch ergeben bereits wenige und einfache Striche in der Projektion an der Wand eindrucksvolle Bilder.)
Daran im Anschluß schauten wir uns mit Hilfe eines Diaprojektors die Bilder an. Zudem wurden sie in unterschiedlicher Ausführlichkeit kommentiert. Auf vier von
acht Beispielen, möchte ich hier exemplarisch eingehen.
Das Bild mit dem Titel „Wohngebiet" stammt von Lisa (19 J., Deutschland). Sie bemerkte dazu, dass es ein gegenteiliges Bild zu dem eben gesehenen Positiven ist. Es gibt nur noch Häuser, kein Grün mehr, keine Bäume und keine Tiere.
Daniel (17 J., Deutschland) hat nicht nur eine trostlose, sondern sogar sehr aggressive Vision. Der Titel seines Bildes lautet „Das wird sein"
und der kurze Kommentar: In der Zukunft gibt es sehr viel Krieg und sehr viel Blut.
Vilja (17 J., Finnland) ist regelrecht sarkastisch mit ihrem Bild „Was für eine wunderbare Welt". Auf den breiten Straßen passen 10 Autos nebeneinander, beschreibt sie. Die Luft ist dementsprechend dreckig. Die Häuser sind extrem hoch und groß, oben sind ebenso Straßen, es gibt keine Bäume mehr. Und passend dazu entwirft sie ein Bild des dort lebenden Menschen. Auf dem Kopf hat er einen Kontrollhelm, so dass er keine abwegigen Gedanken mehr hegen kann. Am Helm
gibt es eine Antenne für Kommunikation (direkt vom Gehirn aus zum anderen) und ein Telefon zur Kommunikation mit jedem ringsum. Die Sonnenbrille dient dem Schutz der Augen, damit sie aufgrund der hohen Radioaktivität in der Luft nicht so brennen.
Die Technik ist sehr hoch entwickelt. Abschließend räumt Vilja noch ein: „Ich bin Pessimist."
Das hier zuletzt beschriebene Bild war auch in unserer Runde zufällig das letzte und es bildete den Höhepunkt der Reihe der (in repräsentativer Mehrheit erschienenen) pessimistischen Bilder von der Zukunft. Obwohl ich mit dem Thema vertraut bin, jagten mir auch diesmal wieder kalte Schauer über den Rücken ob der breiten Hoffnungslosigkeit dieser von der Reisebeschreibung nicht manipulierten Zukunftsbilder.
Es versteht sich von selbst, daß wir damit nicht geendet haben. Wiederum im Kreis sitzend, sprachen wir nun über die Gefühle beim Zurückkommen. Es fiel den meisten sehr schwer, diese zu benennen (zumal in einer für alle fremden Sprache). Nach einigem Austausch sagte Vilja schließlich etwas, was alle mit
„pessimistischen Visionen" bestätigten: „Umkehren und dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt."
Das klang fast wie ein Motto für unsere Vorhaben. Schließlich kamen ja auch gerade wir eben aus diesem Anlass im Rahmen des Jugend-Umwelt-Treffens zusammen. Es macht Mut zu erfahren, dass man nicht allein ist mit seiner Angst, seiner Wut und seinen Wünschen. Und es entsteht eine leise Hoffnung, wenn man die Möglichkeit erhält, aktiv zu werden.
Glaube nicht an die Unvermeidbarkeit deines Schicksals, Änderungen erwirken immer Menschen.
„Wo die Angst ist, ist der Weg", sagt ein asiatisches Sprichwort. Vielleicht gelingt es uns ja ein Tabuthema aufzubrechen, anstatt es immer ausgeklügelter zu verdrängen.
Dieser Aufbruch ermöglicht neue Wege.
Der Weg zu einem veränderten Miteinander aller Lebewesen auf diesem Planeten führt nur über eine Erneuerung unserer Werte, die Umstellung unserer persönlichen und gesellschaftlichen Lebensgewohnheiten.
Zugegeben, das ist unbequem. Es bedarf einer hohen Motivation für die Beteiligten, sich auf diese Umstellungen einzulassen.
Diese Motivation ist für mich die Liebe zum Leben, der Genuß angesichts der unendlichen Vielfalt, die die Natur hervorgebracht hat, die Ehrfurcht und Erhabenheit, selbst ein Teil dieses grandiosen Systems von Werden-Vergehen und Wiederentstehen zu sein. Ich bin Teil des Ganzen und somit mit jedem verbunden und auch verantwortlich, nicht nur für mich selbst. Ich möchte nicht, dass diese Ganzheitlichkeit endgültig gekippt wird, mit dem Preis des Untergangs. Ich selbst will und kann meinen Teil dazu beitragen, daß das nicht geschieht - in meiner Familie und in meiner Arbeit.
Im Zentrum meiner pädagogischen Aufmerksamkeit stehen die Kinder und Jugendlichen. Auch wenn es angesichts unserer zukunftsignoranten gesellschaftlichen Entwicklung wie eine bittere Phrase klingt, sie sind die Zukunft. Auch wenn ihnen heute weder ihre Wichtigkeit noch das Gefühl, gebraucht zu werden, vermittelt wird, sie werden in ein paar Jahren das gesellschaftliche Leben aktiv gestalten. Von ihren Visionen, Wünschen, Hoffnungen, von ihrem Verständnis um die Ganzheit aller Dinge hängt unser aller Zukunft ab.
Schritt für Schritt sollten die Kinder und Jugendlichen daher ermutigt werden, ihre Fragen zu stellen und sich selbst auf die Suche nach Antworten zu begeben. Nicht einmalig sondern kontinuierlich sollen sie in lokalen wie internationalen Aktionen ihre persönliche Bedeutsamkeit bei der Lösung von Problemen erfahren. Nur mit ihnen gemeinsam wird es gelingen, eine lebenswerte und zukunftsorientierte Alternative für uns alle zu schaffen. Weder der schrankenlose Konsum noch der immer beschleunigtere technische Fortschritt sind dabei die richtigen Wegweiser. Altes Denken gilt es aufzubrechen. Gerade mit der jungen Generation sollte uns das gelingen.
Vielleicht können wir dann bei dem nun schon traditionellen Köpenicker Jugend-Umwelt-Treffen in 10 Jahren folgendes feststellen:
Es überwiegen bei den Zukunftsbildern eindeutig solch positive Visionen wie die von Arto (22 J., Finnland). Die Menschen nutzen keine Autos mehr, sie wollen nur laufen.